Vom Hoffnungsträger zum Sündenbock (Teil 1)

Teil 1: Die Geschichte einer Inszenierung

Jeder, der schon längere Zeit in der PV-Branche ist, erinnert sich. Wurde man Mitte 2000 gefragt, was man beruflich macht, kam als Antwort „Super, das ist die Zukunft“. Die Stimmung war von Begeisterung geprägt und Aufbruch. Photovoltaik verkörperte das Mitmachprinzip. Bis Ende 2009 unterstützten 95% der Bevölkerung einen verstärkten Ausbau der Erneuerbaren Energien und bis zu 85% die Förderung über das EEG. Die EEG-Umlage, die zugleich eine Art Indikator für die Akzeptanz der dezentralen Energiewende darstellt, betrug etwas über einen Cent/kWh, bzw. entsprach einer Maß Bier im Monat.

2014: Die Dauerschlagzeilen der Zeitungen lauten seit geraumer Zeit: „Die Energiewende mittels EEG ist unbezahlbar“, „Überhöhte Subventionen an PV- und Wind-Abzocker lassen Strompreise explodieren zu Lasten des Geringverdieners“, „Das EEG muss abgeschafft werden“ oder auch „Eigenverbrauch ist unsolidarisch“. In Bäckereien liegen gar Unterschriftenlisten aus, die eine Abschaffung der EEG-Umlage fordern.

Auf Familienfesten, Vereinssitzungen oder langen Zugfahrten kann man sich längeren Diskussionen sicher sein, sobald man seinen Beruf nennt. Die EEG-Umlage beträgt 6,24 Cent/kWh, bzw. 218 Euro Mehrbelastung im Jahr für einen Durchschnittshaushalt.

Dezember 2013: Bäcker starten Petition zur Abschaffung der EEG-Umlage
Dezember 2013: Bäcker starten Petition zur Abschaffung der EEG-Umlage

Der Sündenbock scheint schnell gefunden. Übersubventionierte Solar-Wind- und Biogasanlagenbetreiber! Doch so einfach ist es nicht. Auch wenn es als Dauermantra ununterbrochen verbreitet wird: Es stimmt nicht, wie nachfolgend belegt. Mehr noch: Diese Diskussion ist herbeigeführt.


Wandel der Energiedebatte ab 2008

2008/2009 häuften sich erstaunlicherweise trotz eindeutig gültigen, bestehenden Atomausstiegsvertrages folgende Zeitungsmeldungen,  Studien und Expertenmeinungen: „Ohne Kernenergie kein Klimaschutz!“, „Ohne Kernenergie keine Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit der Strompreise“, sowie „Kernenergie ist die unverzichtbare Brückentechnologie für den Einstieg in das Erneuerbare Energien Zeitalter“. Der weitere Verlauf ist bekannt. Die Debatte verstärkte sich und gipfelte August 2010 in einer flächendeckenden, ganzseitigen pro-Atom, pro-Kohle Anzeigenkampagne von 40 Managern. Der Parlamentsbeschluss zur Laufzeitverlängerung – ein Milliardengeschenk an die Atomwirtschaft – folgte bereits im Oktober 2010. Er bestünde immer noch, wenn nicht Fukushima und eine aufgebrachte Bevölkerung dazwischen gekommen wäre.

Der EEG-Coup hinter den Kulissen: Wie mache ich aus einer Mücke einen Elefanten?

Zur gleichen Zeit gab es zur Berechnung der EEG-Umlage eine entscheidende Änderung, die – von der Öffentlichkeit unbemerkt – beschlossen und umgesetzt wurde.

Bis 2009 verkaufte jeder Stromlieferant – vom großen Versorger bis zum kleinen kommunalen Stadtwerk – eine definierte EEG-Strommenge in seinem jeweiligen Strom-Portfolio zu regulärem Endkundenpreis einfach mit. Die regional unterschiedlich auftretenden EEG-Strommengen der Einspeiser wurden hochgewälzt an die Übertragungsnetzbetreiber ÜNB (vom lokalen Energieversorgungsunternehmen EVU -> Verteilnetzbetreiber VNB -> Übertragungsnetzbetreiber ÜNB), dort gesammelt und wieder gleichmäßig an alle EVUs zurück aufgeteilt. Die Stromlieferanten erhielten den EEG-Strom von den ÜNB in Form eines Grundlastbandes mit einer monatlich neu festgesetzten Quote und bezahlten pro Kilowattstunde dafür die EEG-Durchschnittsvergütung, die ebenfalls regelmäßig definiert wurde und durch die auch die regional unterschiedlichen EEG-Vergütungskosten ausgeglichen wurden. Die verbleibenden Mehrkosten der EEG-Durchschnittsvergütung zu den EVU-spezifischen durchschnittlichen Strombeschaffungskosten wurden prozentual anhand der EEG-Quote als EEG-Umlage auf die Stromverbraucher umgelegt. (Berechnung s. S. 5)

Differenzkosten = EEG-Durchschnittsvergütung minus durchschnittliche Strombezugskosten
EEG-Umlage = Differenzkosten * EEG-Quote
Ermittlung der EEG-Umlage von 2000 bis 2009
Ermittlung der EEG-Umlage von 2000 bis 2009

Von der EEG-Umlage ausgenommen waren nur wenige energieintensive Betriebe. Die Entwicklung der EEG-Umlage entsprach in ihrem Verlauf bis 2009 der Entwicklung der tatsächlichen EEG-Kosten und stieg nur moderat gemäß des Zubaus.

Die beiden Lobbyverbände BDEW (s. S. 12-15) und BNE (Seite 6) setzten sich bereits länger vehement für eine “Reform des Ausgleichmechanismus“ ein und forcierten dies. Durch eine kleine Anfrage der damals oppositionellen FDP an die Bundesregierung zur “Novellierung des EEG-Wälzungsmechanismus“ kam das Thema im März 2009 auf die parlamentarische Agenda. Bereits Im Mai 2009 stellte die damalige Bundesregierung – unter Federführung des damaligen Umweltministers SIGMAR GABRIEL – ihren Entwurf zur “Verordnung zur Weiterentwicklung des bundesweiten Ausgleichsmechanismus des EEG” vor. Am 2. Juli 2009, wenige Tage vor der Sommerpause stimmte auch der Bundestag dem Verordnungsentwurf zu. Eine Diskussion fand nicht statt. Die Beschlussempfehlung des Umweltausschusses wurde vom Parlament mit der Mehrheit der großen Koalition, sowie den Stimmen der oppositionellen FDP im Schnellverfahren abgenickt.

Die Folgen dieses Beschlusses waren fatal für die Verbraucher, wurden aber in der Öffentlichkeit bis zum heutigen Tag überhaupt nicht wahrgenommen oder diskutiert. Selbst die existentiell betroffene EE-Branche reagierte nicht. Lediglich Professor Dr. Lorenz Jarras warnte in der Fachzeitschrift “Energiewirtschaftliche Tagesfragen” bereits 2009 vor einer stark steigenden EEG-Umlage: „Neuer EEG-Ausgleichsmechanismus kann den Ausbau der Erneuerbaren Energien gefährden!“

Wie recht er behielt, zeigt die nachfolgende Grafik. Die Entwicklung der reinen Förderkosten der Anlagenbetreiber, die den Originalzahlen der ÜNB ab dem Jahr 2000 anhand des im Netz veröffentlichten EEG-Kontos entnommen werden können, wurde vollständig entkoppelt von der Entwicklung der EEG-Umlage. Konkret hat sich die EEG-Umlage seit Beschluss der neuen Berechnungsmethode ab 2009 verfünffacht, während sich die umlagefinanzierten, reinen Förderkosten der Anlagenbetreiber im gleichen Zeitraum trotz zeitweise starken Solarbooms gerade einmal knapp verdoppelt haben (Hinweis: die Grafik ist von Ende 2014, die Zahl für 2014 ist ein vorläufiger Wert, die endgültigen Zahlen werden erst Ende Juli 2015 veröffentlicht).

Entkopplung der EEG-Umlagen-Entwicklung vom Anstieg der Förderkosten für die EE-Anlagenbetreiber. EEG-Umlage explodiert ab EEG-Umlage 2010, bei der erstmalig das neue Berechnungsverfahren angewandt wurde.
Entkopplung der EEG-Umlagen-Entwicklung vom Anstieg der Förderkosten für die EE-Anlagenbetreiber. EEG-Umlage explodiert ab EEG-Umlage 2010, bei der erstmalig das neue Berechnungsverfahren angewandt wurde.


Welche Änderung brachte die neue Verordnung mit sich?

Der eingespeiste EEG-Strom der Anlagenbetreiber muss seit 01.01.2010 verpflichtend durch die vier Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) am Spotmarkt EPEX der Strombörse vermarktet werden. Hier steckt der Systemfehler: Die Strombörse der konventionellen Energiewirtschaft orientiert sich an Brennstoff- und CO2-Kosten. Erneuerbare Energien sind dort jedoch wertlos, denn sie haben naturgemäß weder Brennstoff-, noch CO2-Kosten. Dadurch, dass zudem der gesamte EEG-Strom (inkl. Altanlagen) gemäß der neuen Verordnung vollständig über den Spotmarkt vermarktet werden muss, während konventionell erzeugter Strom weiterhin überwiegend am Terminmarkt gehandelt wird, überwiegt der Einfluss des Ökostroms stark. Der sich bildende Börsenpreis (Schnittpunkt Angebot und Nachfrage) wird entsprechend niedrig und sinkt zudem kontinuierlich mit jeder weiteren neu zugebauten Erneuerbaren Energie Anlage (Merit Order Effekt).

Sinkende Strombörsenpreise lassen in gleichem Maß die EEG-Umlage steigen
Ab 15.10.2009, bzw. EEG-Umlage 2010: Sinkende Strombörsenpreise lassen in gleichem Maß die EEG-Umlage steigen, selbst wenn die Förderkosten stagnieren oder konstant bleiben (Strombörsenpreise sinken bei gleichbleibendem CO2-Preis wg. Merit-Order-Effekt automatisch mit jeder weiteren neuen Wind- Solar oder Biomasseanlage. = Einkaufsschnäppchen für Einkäufer an der Strombörse, wie Großindustrie oder Energiekonzerne)

Die EEG-Umlage berechnet sich aus der Differenz des Ausgabenblocks im EEG-Konto (Vergütungsauszahlungen, Marktprämie, sowie weiterer Nebenkosten wie Zinsen, Prognosekosten, Börsenkosten etc.) minus des Einnahmenblocks im EEG-Konto durch die Einnahmen der ÜNB am Spotmarkt der Strombörse. Was die neue Verordnung letztendlich bewirkte, ist, dass die Erneuerbaren Energien per Dekret zum 01.01.2010 (bzw. angewandte Praxis ab 15.10.2009) schlagartig entwertet wurden. Wenn der Einnahmenblock klein ist, steigt automatisch das Ergebnis der Differenz und somit die EEG-Umlage. Durch den Merit-Order-Effekt wird der Einnahmenblock kontinuierlich mit jeder neu zugebauten Anlage noch kleiner. Die EEG-Umlage rast (bei gleichbleibenden Brennstoff- und CO2-Kosten der konv. Energieträger) gegen den Himmel, selbst wenn der Ausgabenblock (die Förderkosten der Anlagenbetreiber) unverändert bleibt. Die massive Ausweitung der Industrieprivilegien (BesAR) verstärkte diese Entwicklung zusätzlich.

Nicht eine angeblich maßlose Übersubventionierung der Anlagenbetreiber (= Ausgabenblock), wie täglich in Print, Fernsehen, Radio zu hören ist, lässt die EEG-Umlage so stark steigen, sondern vor allem ein politisch beschlossener Systemfehler. Erneuerbaren Energien wurde ein System übergestülpt, das auf konventionelle Energieträger ausgerichtet ist, an denen Erneuerbare Energien (keine Brennstoff, keine CO2-Kosten) per se wertlos sind und verramscht werden müssen. Die entstehende große Deckungslücke aufgrund eines Refinanzierungsinstruments, das von vorne herein nicht funktionieren kann, wird durch den Merit-Order-Effekt immer größer und muss gemäß neuem Ausgleichsmechanismus vom Verbraucher in Form der EEG-Umlage ausgeglichen werden. Die EEG-Umlage – zugleich ein Indikator der Akzeptanz für eine Energiewende in Bürgerhand – explodiert.

Startschuss des Photovoltaik-Bashings 2010

Der starke Anstieg der EEG-Umlage um 70 Prozent wurde Oktober 2010 in den Medien beinahe durchgängig allein als Folge von überhöhten Einspeisevergütungen und Steigerungen der Auszahlungen an die Betreiber dargestellt. Es fehlte offensichtlich an Durchblick oder auch der Bereitschaft, die Faktoren zu untersuchen, die tatsächlich den plötzlichen Anstieg der EEG-Umlage verursacht hatten und sie in den folgenden Jahren noch höher treiben würden. Nur vereinzelt war die Pressemeldung von Matthias Kurth, dem damaligen Präsident der Bundesnetzagentur zu lesen: Der plötzliche, starke EEG-Umlagen-Anstieg hätte nichts mit überhöhten Vergütungsauszahlungen zu tun. Die EEG-Umlage könnte sogar aufgrund gefallener Großhandelspreise abgesenkt werden. Leider verstimmte auch diese einsame Stimme in der Presselandschaft wieder, als Matthias Kurth ab März 2012 nach Wunsch des FDP Wirtschaftsministers durch Herrn Homann ersetzt wurde. Homann war unter den FDP-Ministern Martin Bangemann und Helmut Haussmann von 1987 bis 1990 bereits als Redenschreiber tätig.

Persönliche Erkenntnis

Mir fiel bei den Berichterstattungen zur EEG-Umlage das große Ungleichgewicht auf. Ich wunderte mich, dass es nicht einen Artikel gab, der die neue Verordnung und Berechnungsmethode der EEG-Umlage erläuterte. Von dieser folgenreichen Änderung informiert, den Hinweis bekam ich im Frühjahr 2010 von einem Energiefachmann, begann ich mich näher damit zu beschäftigen. Durch paralleles Vergleichen der Originalzahlen der Übertragungsnetzbetreiber und der Berichterstattungen zum Thema EEG unter Berücksichtigung von Berichten und Studien, auf die verwiesen wurde, fiel mir auf, dass die Faktenlage regelrecht konträr war. Offensichtlich waren die  Berichterstattungen schlecht recherchiert, unvollständig wie auch auffallend einseitig.

Gleichzeitig fiel mir auf, dass andere langanhaltende Schlagzeilen wie Sarrazin, Massenpanik Loveparade, EHEC, Wulff, Gauck … alle jeweils nur eine begrenzte Lebensdauer hatten, egal wie lang sie vorher thematisiert wurden.

Eine Schlagzeile scheint nach wie vor aber nie zu enden. Sie wurde seit 2010 zum Dauerbrenner und riss bis heute nicht ab (abgesehen von einer kurzen Pause nach Fukushima): „Übersubventionierung von Solar- und Windanlagen lässt Strompreise explodieren zu Lasten des Geringverdieners. EEG-Umlagen-Explosion erfordert EEG-Reform“

Warum war in sämtlichen Zeitungen, Talkshows oder Parlamentsdebatten bei dem Stichwort Energiearmut stets vom Strompreis die Rede,  obwohl die Erdgaspreise und erst recht die Heizölpreise, seit 1998 unvergleichlich stärker gestiegen waren und warum gab es zu Erdgas- und Heizölpreisen keine Dauerschlagzeilen?

Entwicklung Strompreis zu Erdgaspreis zu Heizölpreis
Entwicklung Strompreis zu Erdgaspreis zu Heizölpreis


Die Methodik naturwissenschaftlichen Arbeitens

Als Ingenieurin und Energiewirtin ist mir die Methodik naturwissenschaftlichen Arbeitens vertraut: Beobachten, Sammeln, Ordnen, Zusammenhänge erkennen, Recherchieren, Hypothesen aufstellen, Zusammenhänge verifizieren oder falsifizieren. Mit dieser Herangehensweise bin ich auch an die mir aufgefallene starke Einseitigkeit der Schlagzeilen herangegangen, die nach Vergleich von Zeitungsberichten mit Originalzahlen- und Dokumenten immer offensichtlicher wurde.

Beobachten -> negative Schlagzeilen zu PV, Strompreis und EEG reißen nicht ab im Gegensatz zu anderen langanhaltenden Schlagzeilen oder Themen in den Medien

Sammeln -> kontinuierlich über Monate und Jahre Schlagzeilen zu EEG/PV/Energiewende gesammelt

Ordnen -> Schlagzeilen sind sehr einseitig, bzw. unvollständig (AusglMechV fehlt völlig)

Zusammenhänge erkennen, Hypothese: Einseitigkeit kein Zufall?

Recherchieren: wie kommen Schlagzeilen in die Zeitungen? Hat sich Journalismus verändert? Internetrecherche; Gespräche mit Journalisten

Zusammenhänge verifizieren oder falsifizieren

Ergebnis 1:

Die Zeitungsbranche befindet sich seit der Einführung des Internets in einer Strukturkrise. Viele Zeitungen sind in ökonomischen Schwierigkeiten. Einsparungen prägen die Branche, Auflagen gehen zurück, Pleiten oder Übernahmen häufen sich.

Ergebnis 2:

Während in der Zeitungsbranche seit Jahren Arbeitsplätze verloren gehen, boomt Public Relation. Viele Journalisten haben in die PR-Branche gewechselt. Es gibt neue Berufe der Kommunikation, wie z.B. public-affairs als Dienstleister für Unternehmen oder Verbände. So heißt es beispielsweise unmissverständlich in einer PR-Imagebroschüre einer dieser zahlreichen Agenturen: “Um Deutungshoheit beim Kundenthema zu erreichen, gilt es den Prozess so zu strukturieren, dass ausgesuchte kommunikative Pflöcke mit dem richtigen Timing eingeschlagen werden”. In der gleichen Broschüre steht ergänzend zur Beschreibung des Leistungsspektrums: “Studien und Umfragen können diese Arbeit unterstützen”

Ergebnis 3:

Trend: Zeit- und kostenintensiver Recherchejournalismus weicht zugunsten PR-Journalismus


Kernenergiedebatte 2008/2009 war kein Zufall

Im Zuge weiterer Recherchen stieß ich auf zwei Originaldokumente von Kommunikationsagenturen, die an die taz und an Greenpeace und den Spiegel per Whistleblower zugespielt wurden. Es handelte sich um ein Papier der Agentur DAA im Auftrag des Atomforums, bzw. der vier AKW-Betreiber, sowie um ein Konzept der Kommunikationsagentur PRGS. Das Konzept von PRGS war ein Akquisepapier für e.on. Die Inhalte beider Konzepte sind lehrreicher als so manches Politik-Fachbuch.
Den Empfänger des PRGS Papiers, den Energiekonzern e.on, hatte greenpeace in dem zum Download zur Verfügung gestellten Papier geschwärzt. Laut Spiegel hieß es aber,  auf dem Deckblatt des Strategiepapiers stünde, der Schriftsatz sei „für die e.on Kernkraft GmbH“ erstellt worden und dass die PRGS im November 2008 nachweislich für E.ON tätig war, als das Papier verfasst wurde. In dem Strategiepapier schreibt PRGS auch über unveröffentlichte Meinungsumfragen von E.ON/ PRGS zur Analyse der Einstellungen zur Atomkraft.

Die 2008/2009 merkwürdig erscheinende, plötzlich aufgetretene und flächendeckende Debatte in den Medien „Kernenergie für Klimaschutz – alternativlose Brückentechnologie für das Erneuerbare Energien Zeitalter“ war offensichtlich kein Zufall. Das genannte Ziel in den beiden Unterlagen war unmissverständlich: „Bis zur Bundestagswahl 2009 Grundstimmung pro Laufzeitverlängerung herstellen“, bzw. „die politisch-öffentliche Debatte um die Verlängerung der Restlaufzeiten deutscher Kernkraftwerke positiv beeinflussen”.

Die Handlungsempfehlungen, die aus beiden Dokumenten einen Einblick in moderne PR geben, sind beeindruckend und gleichzeitig erschreckend.

Das Grundprinzip ist permanente Medienarbeit in Form von „verdeckter PR“ oder „leiser PR“ und Vortäuschen vermeintlicher Neutralität mittels einer Vielzahl von Studien, Experten und Veranstaltungen. Der wichtigste Satz des PRGS-Papiers dazu steht auf Seite 93: “Politiker bevorzugen wie Journalisten quellenbasiertes Informationsmaterial, das die Neutralität der Information suggeriert.”

Empfohlene Methoden einer professionellen strategischen Kommunikation entlang einer Zeitachse sind:

  • Kernbotschaften und Argumentationsketten werden unter dem gezielten Einsatz von plakativen Begrifflichkeiten entwickelt und dauerhaft verwendet. So entstand das Wort „Brückentechnologie“.
  • Ausgewählte Journalisten und Medien werden kontinuierlich mit »bestellten Wahrheiten« versorgt mittels (wissenschaftlicher) Studien, Meinungsumfragen, Statistiken, sowie von PR-Agenturen geschriebenen Texten, Interviews und Meinungsbeiträgen.
  • Ausgesuchte Politiker erhalten vorgegebene Argumentationslinien
  • Kooperation mit Veranstaltungsformaten, die für eine Kampagne pro Kernkraft genutzt werden können (Symposien, Tagungen, Foren)
  • Medien-Kritiker werden mit allen denkbaren Methoden des „negative campaignings“ überzogen, diffamiert und disqualifiziert.
  • Blogs, Webseiten und andere Social-Media-Plattformen werden gezielt instrumentalisiert und manipuliert.

Wenn man die Berichterstattungen zur Photovoltaik oder des EEG die letzten Jahre verfolgt, fallen Parallelen auf. Fast wöchentlich kommen neue Experten hinzu, die bei gleichzeitigem Ignorieren der fatalen Auswirkung der Ausgleichsmechanismusverordnung oder der Industrieausnahmen die Kostenexplosion der EEG-Umlage durch „ausufernde Subventionen“ beklagen und aufgrund dessen eine Reform oder auch komplette Abschaffung des EEGs fordern. Interessanterweise tauchen umso mehr Experten und Stimmen auf und wird die Schlagzeilenflut umso dichter, je näher ein Termin einer Lesung im Bundestag oder Bundesrat rückt. Mit stets gleichlautenden Begrifflichkeiten und Argumentationslinien.

Sicherlich gibt es keine handfesten Beweise. Leider hat mir kein Whistleblower aus einer public-affairs-Agentur, aus inneren Skrupeln heraus ein Anti PV/EEG-Strategie-Kommunikationspapier zugespielt.

Einer Naturwissenschaftlerin stellt sich jedoch schlicht die Frage nach Wahrscheinlichkeiten. Belegt ist, dass solche Methoden praktizierte Realität sind. Die PR/public-affairs-Branche boomt nicht ohne Grund. Belegt ist auch, dass es für die Laufzeitverlängerung solche Papiere gab. Punkt für Punkt aufgeschlüsselt nach Kommunikationsinstrument, Methodik, Erfolg und Kosten.

Wie wahrscheinlich ist es, dass sich die konventionelle Energiewirtschaft zur Durchsetzung eigener Interessen und Abwehr dezentraler Konkurrenz weiterhin von Kommunikationsberatern beraten lässt? Und dabei auf  Handlungsempfehlungen zurückgreift, die bereits bei der Beeinflussung der öffentlichen Meinung zum Thema Atomenergie so hervorragend geklappt haben?

Wie wahrscheinlich ist es hingegen, dass im Rahmen professioneller Unternehmenskommunikation großer Energieunternehmen ausgerechnet das Thema „Abwehr der PV, sowie ein Beenden des EEG“ ausgeklammert wird?

Der damalige RWE-Chef Jürgen Großmann sagte bereits auf der Bilanzpressekonferenz im März 2012 (Seite 5), dass die Photovoltaik das bisherige Geschäftsmodell der konventionellen Kraftwerke durch den eingespeisten Strom zur Mittagszeit gefährde. Unbestreitbar ist zudem, dass das EEG durch die Stromwirtschaft von Anbeginn mit allen Mitteln bekämpft wurde. Nicht nur gegen das EEG wurde juristisch vorgegangen, bereits in den 90ern wurde gegen den Vorläufer des EEG – das Stromeinspeisegesetz – geklagt. Jeder möge sich selbst die Fragen nach den Wahrscheinlichkeiten beantworten.

Ab Herbst 2010 recherchierte ich zu meinem Blogartikel „Journalismus und das EEG“ und veröffentlichte diesen Anfang 2011:  Darin führte ich erstmalig die Auswirkungen der Ausgleichsmechanismusverordnung aus und untersuchte die Rolle der Presse dazu. Anhand vieler Links und Originalbelege analysierte und widerlegte ich Schlagzeile für Schlagzeile der vergangenen gleichförmigen Zeitungsberichte. Gleichzeitig thematisierte ich zum ersten Mal das sogenannte „Agenda Setting“. Das gezielte Setzen von Themen und Schlagzeilen durch Lobbygruppen, bei dem, wie Claudia Kemfert es in ihrem Buch „Kampf um Strom“ formuliert, das Geld darüber bestimmt, wer am Ende gehört wird.

Die Invasion der Kommentare in unserem Blog

Sehr schnell nach der Veröffentlichung des sehr kritischen Blog-Posts hagelte es Kommentare, die inhaltlich und in ihrer Wortwahl ziemlich genau das wieder gaben, was den Schlagzeilen des medialen Trommelfeuers der letzten Monate gegen die EEG-Umlage, das EEG und die Photovoltaik entsprach. Die sehr schnellen Reaktionen verwunderten uns, da der gleichzeitig mit dem Blog-Post veröffentlichte Zeichentrickfilm hingegen noch keine zwanzig Aufrufe hatte. Mir kam das seltsam vor, da unser Firmenblog sonst nicht in dieser Weise und vor allem nicht so schnell frequentiert war. Welcher normale Bürger verfolgt unseren kleinen Firmenblog, um sofort mit zum Teil energiewirtschaftlichen Insider-Infos zu kontern? Nach der Überprüfung der angegebenen mail-Adressen stellte sich folgender Sachverhalt dar (siehe am Ende des Artikels “Nachtrag der Redaktion”): Die angegebenen Mailadressen der gleichförmigen Anti-EEG Kommentare waren bis auf eine allesamt ungültig und auffallend ähnlich mit nur kleinen Abweichungen.

Eine reale Mailadresse war allerdings dabei. Zu dieser Person gelang es mir, aufgrund der eindeutigen Mail-Endung und nach kurzer Internet-Recherche telefonisch Kontakt aufzunehmen. Wir telefonierten ca. 30 Minuten. Es war eine ältere Dame, Leiterin einer katholischen Kita, deren berufliche Mailadresse lediglich ein paar Tage zuvor im Netz veröffentlicht wurde. Die gute Frau hatte noch nie was von EEG, EEG-Umlage, Quotenmodell gehört, konnte mit Photovoltaik nichts anfangen und wusste auch nicht, was ein Blog ist, geschweige denn, wie man Kommentare darunter setzt. Die Arme fiel aus allen Wolken. Ihre berufliche Mailadresse war von einem Fremden missbraucht worden.

Nicht nur diese zutiefst erschrockene Frau fiel aus allen Wolken. Ich auch! So begann ich zu untersuchen, ob da Methode dahinter stecken kann. Ich las nochmal gründlich die Handlungsempfehlungen in den Originaldokumenten der Kommunikationsagenturen. Auf S. 92 des PRGS-Konzepts fand ich schließlich folgende Handlungsempfehlung: “Beginnend mit einer Bestandsaufnahe relevanter Blogs werden Argumente pro Kernenergie in den Webdiskurs eingespeist. […] Entsprechend der Ausrichtung identifizierter Blogs werden die entwickelten Argumente zielgruppenadäquat formuliert.“ Die gleiche PR-Agentur gab zudem Anleitungen wie durch “Integration von Social-Media in der Kommunikation” mit Hilfe von Alert-Diensten, Twitterbeep etc. sämtliche News, Blogs, Foren im Web, in denen eine ausgewählte Marke oder ein ausgewählter Schlüsselbegriff vorkommt, im Auge behalten und unmittelbar reagiert werden kann. Ich war fassungslos und konnte und wollte es kaum glauben.

November 2010 war in den Medien erstmals von der Forderung eines Deckels für Photovoltaik zu lesen und Anfang 2011 forderte ein Landes-FDP-Politiker gleich die komplette Abschaffung des EEG.

Doch alles änderte sich im März 2011 mit dem furchtbaren Atomunglück in Japan. In gleich drei Reaktoren des Atom­kraftwerks Fukushima kam es zur Kernschmelze. Die Welt war nicht mehr die Gleiche. Und die deutsche Regierung, die kurz vorher noch die Laufzeitverlängerung altersschwacher Alt-AKWs beschlossen hatte, erlebte Massenproteste und große Empörung.

In den Zeitungen geschah Erstaunliches. Das vorher monatelang ununterbrochene Dauermantra „Ökostromförderung lässt Strompreise explodieren“ verstummte Mitte März augenblicklich. Keine Zeile mehr zu explodierenden Strompreisen durch solare Übersubventionierung, obwohl die Nachfrage nach Photovoltaik viel stärker war als zuvor. Über Wochen und Monate blieb es still, es herrschte regelrechte PV-Bashing Friedhofsruhe ….

Weiter geht’s hier mit Teil 2

Kommentare

  1. Dieser Artikel ist ein unglaublich umfassender und wichtiger Einblick in die tägliche Manipulation durch Interessengruppen (hier fossile und Atomindustrie) der wir unbemerkt ausgesetzt sind.
    Dies bedeutet, dass in unserem Staat nicht das “Volk” herrscht sondern das Geld. Niemals vorher mir so eindrücklich klar geworden. Besonders die beiden verlinkten “Konzepte” der PR Agenturen sprechen Bände und triefen vor Niedertracht.

  2. Hallo Herr Jahns,

    sorry, dass wir nicht sofort Zeit fanden, ihren Kommentar freizuschalten. Ja, das ist richtig. Es besteht ein eklatant großes Machtungleichgewicht zwischen Konzern-Lobbyismus und Zivilgesellschaft, wie das auch lobbycontrol zu Recht thematisiert:
    https://www.lobbycontrol.de/lobbyismus-hoehlt-die-demokratie-aus-zehn-thesen/

    Dieses Machtungleichgewicht ist zudem systemimmanent selbstverstärkend (Kapitalmacht=Lobbymacht=noch mehr Kapitalmacht=noch mehr Lobbymacht=noch mehr Kapitalmacht… usw.) Dies geschieht im ersten Schritt durch indirekten Lobbyismus. Hiermit werden zu Gewinnmaximierungsthemen von Großindustrien intransparent Meinungshoheiten herbeigeführt m.H. von Kommunikationskampagnen von lobby-think-tanks und deren unterbeauftragten Kommunikationsagenturen. Die beiden von ihnen erwähnten verlinkten “Leaks” waren nur eines der unzähligen Beispiele, mit denen Parikularinteressen zur Gewinnmaximierung weniger kapitalstarker Akteure als vermeintliches “Allgemeinwohl” oftmals in der verwendeten Kommunikation “zugunsten der Schwächsten” verkauft wurden.

    In Teil 2 dieses Artikels finden Sie, ebenfalls wieder mit Originalquellen belegt, wie solche orchestrierte Kampagnen zum Herbeiführen von Meinungshoheit ablaufen. Ich hoffe, diesen haben Sie auch gelesen?
    https://photovoltaikbuero.de/pv-buero-blog/vom-hoffnungstraeger-zum-suendenbock-teil-2/

    Konnte durch eine beauftragte Kommunikationskampagne die Konzernagenda der eigenen Gewinnmaximierung erfolgreich zur öffentlichen Debatte gemacht werden und ist diese -quasi als Steilvorlage- als Thema im deutschen Bundestag angekommen, folgt Schritt 2: Die direkte Einflussnahme von Wirtschaftsverbänden und Konzernen auf Regierungspolitiker und Behörden. Hier ein Eindruck, wie das stattfindet und wie mittlerweile selbst gewählte Bundestagsabgeordnete einer Regierungskoalition nur noch marginal Einfluss nehmen können.
    https://www.youtube.com/watch?v=y5FiOrJClts

    Solange es keine Massenbewegung aus der Bevölkerung heraus gibt für massive, schärfste Lobbykontrolle, besteht weiterhin die Gefahr, dass jede Bürgerinitiative und Protestbewegung mit genau diesen Instrumenten ausgehebelt wird. So wird weiterhin aus einem geforderten Kohleausstieg am Ende ein Kohleverlängerungsgesetz werden, eine exponentiell gewachsene Mitmach-Energiewende der Bevölkerung zu einer Konzernagenda umgelenkt werden, die für Vollbremsung des Wachstums der Erneuerbaren sorgt oder aus den Forderungen der Klimajugend ein Emissionshandel der Verursacherindustrie werden, die kein Interesse an einem schnellen Strukturwandel zu EE hat und über das Vehikel “Wasserstoff” eine Verlängerung des fossilen Zeitalters mit Erdgas vorbereitet.
    https://www.lobbycontrol.de/2021/01/wasserstoff-der-stoff-aus-dem-die-traeume-der-gaslobby-sind/?pk_campaign=20210202&pk_source=nl

    Doch es besteht Grund zur Hoffnung 🙂 Die Erneuerbaren Energien sind weltweit die günstigste Stromerzeugungsart, auch in Deutschland und die Speicherpreise haben die magische Grenze (100US$/kWh) unterschritten, ab dem E-Autos nicht nur im Betrieb günstiger sind (erst recht mit EE), sondern auch in der Anschaffung.
    https://energyload.eu/stromspeicher/batteriepreise-fallen/

    Sektorenkopplung, vehicle to grid, Großspeicher und regionale EE-Stromhandelsplattformen bieten ganz neue Möglichkeiten und Chancen. Technologische Strukturwandel fanden und finden nie linear statt, sondern immer exponentiell (vgl. PC, Smartphone, Flachbildschirm, Digitalkamera usw.). Siehe auch Tony Seba, Saubere Revolution 2030

    Der Konzern-Lobbyismus kann den Strukturwandel, in dem wir uns befinden, vielleicht verzögern, verhindern kann er ihn jedoch nicht!

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